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Ein Ort für ganzheitliches Lernen – die Waldorfschule Filstal

Die Waldorfschule im malerischen Filstal bietet Kindern und Jugendlichen eine einzigartige Lernerfahrung. Der Lehrplan sieht neben dem herkömmlichen Unterrichtsstoff wie Handarbeit, Eurythmie, Musik und Kunst vor. Sitzenbleiben können Schülerinnen und Schüler hier nicht – sie bleiben immer im selben Klasssenverband. Auch Noten kommen erst spät hinzu. prisma hat mit einer Lehrerin der Waldorfschule Filstal, Birgit Kohn, und dem ehemaligen Geschäftsführer der Schule, Axel Dittus, gesprochen und dabei einen Einblick in die Waldorfpädagogik bekommen.
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Seit 50 Jahren eine Institution

prisma: Die Freie Waldorfschule Filstal feiert 2023 ihren 50. Geburtstag. Was führte zu dem langjährigen Erfolg der Waldorfpädagogik im Filstal?

Birgit Kohn und Axel Dittus: Ein Erfolgskriterium ist sicherlich das Bemühen der Waldorfpädagogik, den ganzen Menschen anzusprechen und das Denken, Fühlen und Wollen gleichermaßen zu fördern. Neben dem eigentlichen Lernen steht die Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes im Vordergrund. Dabei wird ein einheitlicher Bildungsgang vom Kindergarten – der ja auch zu unserer Schule gehört – bis zum Abitur angeboten, der aus einem einheitlichen Geist heraus gestaltet ist und in welchem eine zu frühe Auslese vermieden wird. Dies scheint die Menschen nach wie vor zu überzeugen.

prisma: Wie feiern Sie denn Ihr 50-jähriges Bestehen?

Birgit Kohn und Axel Dittus: Wir haben unser Jubiläum bereits gefeiert. Eigentlich wurde die Schule bereits 2022 50 Jahre alt. Da wir aber ohne Einschränkungen feiern wollten, hat sich das Jubiläum verschoben. Im Herbst 2022 gab es ein Herbstfest mit einem Laufevent, dann gab es am 13. Mai einen Festakt mit diversen Schüleraufführungen einerseits und von einer Reihe von Grußworten andererseits. Und die Aufführung der „Ersten Walpurgisnacht“ von Mendelssohn Bartholdy und Johann Wolfgang von Goethe.

prisma: Wie viele Schülerinnen und Schüler unterrichtet Ihre Schule heute?

Birgit Kohn und Axel Dittus: Die Freie Waldorfschule Filstal ist eine einzügige Schule von Klasse 1 bis 13 und unterrichtet momentan 487 Schülerinnen und Schüler. Hinzu kommen 60 Kindergartenkinder, verteilt auf drei Gruppen.

Lehrermangel: Auch Waldorfschulen unter Druck

prisma: Wie stark sind Waldorfschulen vom Lehrerinnen- und Lehrermangel betroffen?

Birgit Kohn und Axel Dittus: Auch die Waldorfschulen sind vom Lehrermangel betroffen, zumal das Unterrichten dort Zusatzqualifikationen erfordert. Zudem können die Gehälter nicht mit den staatlichen Schulen mithalten. Wir haben immer noch großes Glück, Lehrerinnen und Lehrer zu finden. Dennoch merken wir schon auch, dass es weniger Interessierte gibt.

prisma: Gibt es Unterschiede in der Ausbildung zur Lehrkraft an einer Waldorfschule und wie sieht diese Ausbildung aus?

Birgit Kohn und Axel Dittus: Zentral ist das Studium der Waldorfpädagogik, welches an waldorfeigenen Hochschulen, z.B. in Stuttgart oder Mannheim, absolviert wird. Insbesondere für den Unterricht in der Oberstufe (ab Klasse 9) ist ein Fachstudium Voraussetzung. Ein zweites Staatsexamen ist in Baden -Württemberg nicht erforderlich. Es gibt verschiedene Seminare für Waldorfpädagogik.

prisma: Habe ich die Möglichkeit, als Quereinsteigerin oder Quereinsteiger an Ihrer Schule zu unterrichten und wenn ja, wie? 

Birgit Kohn und Axel Dittus: Das ist grundsätzlich möglich und kommt darauf an, welche Klassenstufen und welche Fächer unterrichtet werden sollen. Für die schriftlichen Prüfungsfächer gelten da besondere Bedingungen. 

Aber auch als Quereinsteigerin oder Quereinsteiger kann man an einer baden-württembergischen Waldorfschule unterrichten, sofern man ein Fachstudium und die entsprechende waldorfpädagogische Qualifikation erworben hat. Diese kann auf vielfältige Weise, etwa durch ein Fernstudium, auch berufsbegleitend, oder durch Kurse an den genannten Hochschulen erwerben. 

Ein Lehrplan, der zu den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler passt

prisma: Die Waldorfpädagogik basiert ja auf den Lehren des österreichischen Philosophen und Sozialreformers Rudolf Steiner. Was überzeugte Sie, seiner Pädagogik zu folgen?

Birgit Kohn und Axel Dittus: Die Erkenntnisse und pädagogischen Hinweise Steiners haben sich in der Praxis in vielfacher Weise als sehr fruchtbar erwiesen. Sie zu kennen und zu beachten ist im schulischen Alltag von unschätzbarem Wert. Je mehr man sich als Pädagoge damit beschäftigt, desto mehr erfährt man ihre Evidenz und ihre Fruchtbarkeit für den Unterricht. Die Ergebnisse überzeugen. Der Lehrplan ist auf das jeweilige Lebensalter der Schülerinnen und Schüler abgestimmt. Außerdem erwerben die Schülerinnen und Schüler auch handwerkliche Fähigkeiten.

prisma: Worin unterscheidet sich die Waldorfpädagogik grundlegend von der Pädagogik einer staatlichen Schule?

Birgit Kohn und Axel Dittus: Zunächst einmal haben die Waldorfschulen Kinder aus allen Schichten in ihren Klassen. Eine Sonderung findet nicht statt. Einen entscheidenden Unterschied sehen wir darin, dass die Schüler und Schülerinnen während ihrer ganzen Schulzeit in ihrem Klassenverband verbleiben. Eine Wiederholung von Klassen ist nicht vorgesehen. Dies bedeutet eine intensive Binnendifferenzierung, da alle Begabungen und Fähigkeiten in einem Klassenverband zu finden sind. Zudem dient der Unterricht nicht nur der intellektuellen Bildung, sondern auch der individuellen Entwicklung. Dabei ist es nicht gleichgültig, in welchem Lebensalter der Unterrichtsstoff durchgenommen wird. Dazu kommen die handwerklich-künstlerischen Fächer, die vor allem die sogenannten „Soft Skills“ schulen.

prisma: Die Waldorfschule setzt ja zum Beispiel auf altersgemischte Klassen. Worin liegt hier der Vorteil für die Schülerinnen und Schüler? 

Birgit Kohn und Axel Dittus: Dies ist so nicht richtig. Der Waldorflehrplan geht davon aus, dass bestimmte Inhalte in ein bestimmtes Lebensalter gehören. Dies ist mit ein Grund, dass die Schülerinnen und Schüler immer in ihrem Klassenverband verbleiben und so im richtigen Alter das Adäquate lernen und erleben. 

Keine Noten – dafür viel Zuwendung

prisma: Auch gibt es in dieser Pädagogik keine Noten in den ersten Schuljahren, sondern stattdessen ausführliche, schriftliche Berichte über die Fortschritte der Schülerinnen und Schüler. Wie wird das begründet?

Birgit Kohn und Axel Dittus: Dadurch wird mehr auf die Entwicklung eines Kindes eingegangen. Jedes Kind bekommt auch bis zur 8. Klasse einen sogenannten Zeugnisspruch, der soll dem Kind eine Stütze während des Schuljahres sein. Irgendwann wollen die Schülerinnen und Schüler Noten, aber die dienen eher zur Orientierung als zur Versetzung, denn darum geht es bei uns nicht. Schülerinnen und Schüler auf eine Note zu reduzieren, wird diesen in keiner Weise gerecht. Ich sehe einer Note nicht an, wie sie zustande kam, wieviel Bemühen das Erreichen erforderte. Ist die Note „befriedigend“ nun für die Schülerin und den Schüler eine tolle Leistung, die viel Anstrengung bedeutet oder ist sie das Ergebnis von Nachlässigkeit und Schlendrian? Ein qualifizierter schriftlicher Bericht kann der oder dem Einzelnen deutlich gerechter werden, seine Stärken und Schwächen herausarbeiten und auch Hinweise für das weitere Lernen beinhalten. Damit entsteht ein „Gespräch“ zwischen Lehrenden und Lernenden.

prisma: Welche handwerklichen Fertigkeiten werden in Ihrer Waldorfschule unterstützt? 

Birgit Kohn und Axel Dittus: Alle Schülerinnen und Schüler lernen in der ersten Klasse Stricken. Ebenso Häkeln und von Hand Nähen. Alle lernen mit der Nähmaschine umzugehen. Alle lernen Wolle zu spinnen, die dann in einem großen Webstuhl zu einem Teppich gewoben wird. Es gibt in der Fachhochschulreife das Fach Textiles Gestalten. Es gibt das Fach Holzwerken, das dann in der Oberstufe zu Schreinern führt. Es werden richtige Möbelstücke mit allen Fertigungskomponenten hergestellt. Dann gibt es noch das Fach Gartenbau, da wir in unserem Schulgarten mit den Schülerinnen und Schülern Gemüse angebaut, Wege und Mauern gebaut. Wichtig ist zunächst, dass es hier wieder um die Entwicklung der Persönlichkeit geht. Es werden keine „Handwerker“ ausgebildet, genau so wenig, wie bei den vielen Klassenspielen keine Schauspieler ausgebildet werden. Es geht primär um die Entwicklung menschlicher Fähigkeiten, die mithelfen sollen, die Schülerinnen und Schüler in ihrem weiteren Lebensweg zu stärken und zu unterstützen. 

prisma: Viele Menschen haben Vorurteile gegenüber Waldorfschulen. Zum Beispiel, dass Waldorfschülerinnen und -schüler kein richtiges Abitur hätten, im späteren Erwachsenenalter durch die Waldorfpädagogik Nachteile gegenüber staatlich ausgebildeten Schülerinnen und Schüler erfahren, oder dass sie in ihrer eigenen, esoterischen Welt leben würden. Was entgegnen Sie diesen Vorurteilen? 

Birgit Kohn und Axel Dittus: Diese Vorurteile haben keine reale Basis. Das Abitur beispielsweise ist in Baden-Württemberg dasselbe Zentralabitur wie an den staatlichen Schulen, allerdings mit der Erschwernis, dass Vornoten, die in den Klassen elf und zwölf erreicht werden, nicht zählen. Wenn wir unsere ehemaligen Schülerinnen und Schüler anschauen, erleben wir sehr bodenständige Menschen, die sehr viele Berufe erfolgreich ergriffen haben. 

Vielen Dank, Frau Kohn und Herr Dittus, für das tolle Gespräch. 

Freie Waldorfschule Filstal

Ahornstr. 41, 73035 Göppingen-Faurndau

Bildnachweis

© Wavebreakmedia / istockphoto.com

© Petroula Kirkou / Freie Waldorfschule Filstal

© SDI Productions / istockphoto.com

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