Die Geschichte hinter dem freien Radio radiofips
radiofips ist ja ein sogenanntes „freies Radio“, oft auch „Community Radio“ genannt. Was genau ist das und worin unterscheidet es sich von privaten und öffentlich-rechtlichen Radios?
Oliver Schwarz: Der Unterschied liegt tatsächlich im „frei“ sein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sowie die privat-kommerziellen Radiosender richten ihre Programme nach Zielgruppen entsprechend Alter und sozialem Milieu aus. Daraus resultieren meist eine streng definierte Musikfarbe und ein zielgruppenorientierter Programminhalt, der häufig mit Wordings und Claims zusammengestrickt wird. Man spricht hier von „Formatradio“, welches 24/7 Durchhörbarkeit und entsprechende Einschaltquoten der jeweiligen Zielgruppe verfolgt.
Als „freies“ Radio gehören wir zwar auch zu den privaten Rundfunkveranstaltern, verfolgen aber keine kommerziellen Interessen und müssen keine Quoten erfüllen. Grundlegend senden wir auch keine Werbespots für Konsumprodukte oder veranstalten Radiogewinnspiele. Das führt zu einem weiteren, wesentlichen Unterschied zu den anderen Hörfunkbetreibern. Wir gestalten und veranstalten unser Radioprogramm komplett ehrenamtlich in unserer Freizeit und müssen unseren Sendebetrieb finanziell aus den Vereinsmitteln bestreiten. Durch engagierte Mitglieder und die Unterstützung des Kreismedienzentrums ist dies aber soweit ausreichend möglich. Diese Unabhängigkeit gibt uns dafür die Freiheit, das Programm in Wort und Musik nach Belieben zu gestalten. So bedienen wir oft musikalische Nischen oder haben Musik abseits des Mainstreams auf der Playliste. Ebenso sind Wortinhalte wie Talk, Interviews und Beiträge nicht auf die übliche „1 Minute 30“-Länge begrenzt. Es gibt sehr wenig Direktive, sodass wir kreativ und ohne starres Gerüst agieren können.
Was ist die Geschichte und der Hintergrund von radiofips?
Oliver Schwarz: Es gab zur Gründungszeit des Freien Radio Göppingen e.V. vor 25 Jahren zum einen den Klinikfunk „Radio Eichert“, zum anderen die „filstalwelle“ als Lokalradiosender in der Langestraße. Die „filstalwelle“ erlebte in dieser Zeit eine weitreichende Umstrukturierung und wurde Teil von Antenne1 in Stuttgart, was eine Reduzierung des Sendebetriebs in Göppingen von 24 auf wenige Stunden zur Folge hatte. Viele Moderatorinnen und Moderatoren, die zuvor freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der filstalwelle waren, hatten Lust weiterhin Radio zu machen. Gleichzeitig hatte der Klinikfunk mit schwindenden Hörerinnen- und Hörerzahlen zu kämpfen. Waren zuvor in der Klinik am Eichert über ein Hörkissen drei Radiosender inklusive Klinikfunk zu empfangen, ging durch die technische Aufrüstung des TV- und Radioangebots der Klinikfunk unter 30 anderen Radiosendern unter. Es war zeitweise etwas frustrierend „ins Nichts“ zu senden. Die Motivation, Radio zu machen, blieb aber ungebrochen.
So hat sich dann am 1. April 1998 aus einem kleinen Grüppchen der Verein Freies Radio Göppingen e.V. gegründet. Ziel war es, ein Lokalradio für Göppingen und den Landkreis zu betreiben, in dem ohne Formatvorgabe und Werbung ehrenamtlich, aber mit professionellem Anspruch, ein Programm gestaltet werden kann.
Von der Vereinsgründung bis zum Sendebetrieb sollten dann aber nochmal fünf Jahre ins Land gehen. In dieser Zeit fand der Verein im Kreismedienzentrum, in dem schon der Klinikfunk sein Sendestudio hatte, seinen Sitz. Langsam entwickelte sich die Machbarkeit für einen technischen und inhaltlichen Sendebetrieb, zunächst als Webradio, später dann über UKW und das Kabelnetz. In dieser Phase entstand auch der Programmname „radiofips“. Wir haben den Namen gewählt, weil wir nicht klassisch einer Musikfarbe zuzuordnen sein wollten und man sich unter „fips“ alles Mögliche vorstellen kann, vielfältig wie unser Programm eben sein soll.
Dafür steht radiofips
Gab es in der radiofips-Geschichte einen besonderen Moment, den das Radio nachhaltig geprägt hat?
Oliver Schwarz: Es gab über die letzten 25 Jahre einige Momente, die das gesamte Projekt immer wieder einen Schritt vorangebracht haben. So auch die Kooperation zwischen dem Kreismedienzentrum und unserem Verein, welche die entscheidende Basis für die Umsetzung des Radiobetriebs darstellt. Sehr besonders war jedoch, als wir vor knapp zehn Jahren die dauerhafte Zulassung der Frequenz 89,0 MHz für unseren UKW-Sendebetrieb von der Landesanstalt für Kommunikation und der Bundesnetzagentur bekommen haben. Obwohl wir unser Programm schon längere Zeit als Webradio und testweise als Veranstaltungsfunk betrieben haben, war dies dann doch, symbolisch gesprochen, der offizielle Aufstieg in die erste Liga. Seit diesem Zeitpunkt werden wir auch als „echtes“ Radio wahrgenommen und sind nicht mehr nur die Freaks aus dem Kellerstudio.
Als freies Radio bieten Sie Menschen eine Stimme, die ansonsten nicht zu Gehör kommen. Wer sind denn die Radiomacherinnen und -macher bei Ihnen und was für Sendungen werden gestaltet?
Oliver Schwarz: Die Radiomacherinnen und -macher sind allesamt motivierte Menschen, die Spaß daran haben, ehrenamtlich in ihrer Freizeit Radio zu gestalten, so wie andere zum Beispiel im Sportverein aktiv sind. Dabei reicht das Altersspektrum von Jugendlichen, die noch zur Schule gehen, bis zu junggebliebenen Rentnerinnen und Rentnern. Ebenso gibt es Mitglieder, die nie zuvor etwas mit Radio zu tun hatten, aber auch ehemalige DJs oder Mitglieder, die in früheren Jahren schonmal bei einem Radiosender tätig waren. Es ist also keine gecastete Truppe bei uns an den Mikrofonen, sondern die Nachbarin von nebenan oder der DJ, der früher in der Disco schon die Platten aufgelegt hat. Es sind nicht die Menschen, die mit aalglatter und geschulter Moderation durch die Sendung führen. Sie haben Ecken und Kanten und jede Menge Personality und das macht sie am Mikrofon sehr sympathisch.
So vielfältig und speziell wie die Moderatorinnen und Moderatoren sind, so vielfältig sind auch die angebotenen Sendungen, denn die einzelnen Mitglieder kennen sich in Ihrem Lieblingsmusikgenre am besten aus. Da ist eine Heavy-Metal-Sendung genauso dabei wie eine Schlager- oder Blasmusiksendung und auch Fans der elektronischen Tanzmusik kommen nicht zu kurz. Musikfreaks freuen sich auch über Langläufertitel, welche die übliche Radiolänge von 3:30 Minuten bei weitem übersteigen. Besondere Scheiben aus der 80er Diskozeit haben auch ihren Sendeplatz. Andere Mitglieder holen sich für Ihre Sendung interessante Interviewgäste ans Mikrofon oder berichten über Interkulturelle oder lokale Themen. Es gibt auch englisch moderierte Sendungen. So hat sich eine zufällige bunte Mischung ergeben, die von einem Leitungsteam koordiniert wird.
Das Engagement von radiofips
Welche Ziele verfolgt radiofips und welche Bedeutung hat es für die Förderung der lokalen Kultur, Veranstaltungen und Initiativen in Göppingen und der Region?
Oliver Schwarz: Zwischen Stuttgart und Ulm sind wir auf den fast 100 Kilometern der einzige ansässige Radiosender. Die Themen rund um Göppingen sind meist weder für die Stuttgarter noch für die Ulmer Sender Interessant. Daher sehen wir uns in der Rolle des Lokalsenders in der Region. Diese selbstauferlegte Aufgabe versuchen wir im Rahmen unseres ehrenamtlichen Zeitbudgets so gut wie möglich zu erfüllen. Gleichzeitig haben wir noch den Anspruch an ein professionell klingendes Programm, was auch ein gewisses Level an funktionierender und zuverlässiger Technik voraussetzt. So können wir einen ernsthaften medialen Mehrwert für die Region bieten. Und damit verbunden auch die Möglichkeit, dem Geschehen vor unserer Haustür einen exklusiven Platz in der Radiolandschaft zu geben. Das ist in dieser Form für die Region sicherlich einzigartig.
Ganz besonders freut es uns, dass auch Städte und Gemeinden aus dem Landkreis ihre eigene Sendung unter dem Titel „Total lokal“ bei uns im Programm gestalten. Schulklassen machen Schülerradio und rücken ihre ganz speziellen Themen und Interessensgebiete in den Mittelpunkt ihrer Sendung. Wir gehen aber auch mal mit unserem mobilen Studio direkt an den Ort des Geschehens und senden live z.B. von der Kulturnacht, dem Stadtfest oder anderen Events im Landkreis. Insgesamt besteht unser Programm dadurch aus einem äußerst breiten Spektrum, welches sukzessive durch neue Mitglieder erweitert wird. Wir sind aber auch offen für Anregungen und Ideen von außen.
Wie arbeitet radiofips mit lokalen Künstlerinnen und Künstlern, Musikerinnen und Musikern und anderen kreativen Personen zusammen? Welche Möglichkeiten haben diese, ihre Arbeit auf dem Sender präsentieren können?
Oliver Schwarz: Da gibt es ganz unterschiedliche Möglichkeiten. Speziell für Bands und Musikerinnen und Musiker haben wir die Sendung „Radiobühne“ im Programm. Hier wird die Band oder der musikalische Act im lockeren Talk vorgestellt. Zwischen den Interviewteilen gibt es Songs und Musikstücke, die vorzugsweise live in unserem Radiostudio eingespielt werden. Es können aber auch Demos oder frische Aufnahmen aus dem Studio dabei sein. Die Radiobühne ist somit ein kleines einstündiges Konzert im Radio mit Hintergrundinformationen aus erster Hand. Seit dem Start der Radiobühne im Jahr 2009 hatten wir schon knapp 500 Künstlerinnen und Künstler zu Gast.
Für alles nicht-musikalische bieten wir mit unserer Sendung „Durchblick“ eine zweistündige Plattform für Vereine und Interessensgruppen sowie interessante Menschen und Themen aus der Region. Kunst, Hightech, Politik, Wissenschaft… alles findet hier einen Platz.
Jeweilige Gäste sowohl für die „Radiobühne“ als auch die Sendung „Durchblick“ werden von uns akquiriert oder können sich selbst an uns wenden, wenn sie zu uns kommen möchten.
Nebenbei gibt es noch weitere Sendungen, in denen immer wieder Interviewgäste eingeladen sind.
Dazu sind wir noch bei einigen regionalen Events mit unserem mobilen Studio vor Ort und können direkt und live von musikalischen oder kulturellen Ereignissen senden und berichten.
Radio mit Haltung
Als Community Radio lebt der Sender ja vom Engagement von Leuten, die Lust auf Radio haben. Wie können Interessierte bei radiofips mitmachen? Und sind irgendwelche Vorkenntnisse nötig?
Oliver Schwarz: Wir verstehen uns als zugangsoffenes Mitmachradio, gestaltet von Menschen aus der Region für die Region. Wer längerfristig ehrenamtlich mitmachen möchte, kann bei uns einfach einen Mitgliedsantrag stellen. Neue Interessenten und Mitglieder sind gerne willkommen. Um zu sehen und zu spüren, ob dieses vielleicht doch etwas spezielle „Hobby“ etwas für eine oder einen ist, kann man uns an unseren Teamabenden dienstags zwischen 19 und 24 Uhr ohne große Voranmeldung in unseren Räumlichkeiten besuchen und reinschnuppern. Ansonsten nach Vereinbarung. Aber Vorsicht! Wenn jemand vom Radiofieber gepackt wird, kommt er sehr schwer wieder los davon. 🙂
Insgesamt steckt hinter unserem Radiobetrieb deutlich mehr als mit einem Mausklick eine mp3-Datei abzufahren. Vom Inhalt des Radioprogramms über die Verwaltung bis zur IT- und Sendetechnik bestreiten wir alles in Eigenregie. Die Bereiche, in denen man sich einbringen und aktiv werden kann, sind entsprechend vielseitig. Nicht für alle sind Vorkenntnisse notwendig. Ein gewisses Verständnis und Gespür für radiogerechte Inhalte, Abläufe oder technische Zusammenhänge sollte jedoch vorhanden sein. Wer tiefer einsteigen will kann sich hier natürlich unter Anleitung eines erfahrenen Basisteams einarbeiten.
Gibt es Themen, die bei radiofips keinen Platz finden? Und gab es schon mal den Fall, dass jemand seine Sendung einstellen musste?
Oliver Schwarz: Rechtswidriges, Radikales, Hass, Hetze, ethisch Fragwürdiges und Fake-News haben bei uns keinen Platz. Ansonsten sind wir für alle allgemeinen, speziellen und auch für ungewöhnliche Themen offen, sofern sie radiotechnisch Sinn machen.
Es gab leider schon mehrfach den Fall, dass Sendungen von Mitgliedern eingestellt werden mussten. Das hatte aber gesundheitliche oder zeitliche Gründe der Sendungsverantwortlichen. Sowas ist bei uns dann schwer aufzufangen, weil es sich eben meist um besonders thematisches Hintergrundwissen einzelner Mitglieder handelt, welches nicht ersetzt werden kann. Aber so gibt es immer wieder auch Platz für neue Sendungen und Veränderungen im Programm.
Welche Herausforderungen gibt es für ein freies Radio wie radiofips in Bezug auf Finanzierung?
Oliver Schwarz: Da freie Radiosender keine Einnahmen durch Rundfunkgebühren oder Werbung erzielen, ist der finanzielle Spielrahmen meist knapp. Räumlichkeiten, Technik, Betriebskosten – hier kommt natürlich einiges zusammen. Besondere Umstände ermöglichen es uns in Göppingen jedoch, dass wir den kompletten UKW-Sendebetrieb in Eigenregie führen können und somit die sonst hohen Fremdkosten einsparen können. Aktuell reichen unsere Mitgliedsbeiträge und Spenden aus, um zusammen mit unserer ehrenamtlichen Leistung und der räumlichen Unterstützung des Kreismedienzentrums den Sendebetrieb zu stemmen.
Natürlich stehen wir aber auch im Radiobereich vor neuen Herausforderungen. Die digitale Radioübertragung via DAB+ steht vor der Türe und die analoge Radioübertragung auf UKW soll bis 2032 abgeschaltet werden, so zumindest der aktuelle Stand. Für die DAB+ Sendetechnik müssen wir in den kommenden Jahren einiges Investieren. Für einen Teil stehen eventuell Fördergelder der Landesanstalt für Kommunikation zur Verfügung.
Die Zukunft von radiofips
Der Radiokonsum nimmt langsam, aber doch stetig ab. Merken Sie das, etwa dadurch, dass weniger Leute Radio machen wollen? Und wie sehen Sie diese Entwicklung langfristig? Wird es auch in 20 Jahren noch radiofips geben?
Oliver Schwarz: Totgesagte leben ja bekanntlich länger. Das Radio wurde schon mehrfach, insbesondere gegenüber dem Fernsehen, zum aussterbenden Medium erklärt. Heute sind es die Sozialen Medien und Plattformen wie Spotify, die in Konkurrenz zum Radio treten. Sicherlich gibt es immer wieder Veränderungen in der Mediennutzung der Menschen, Radio ist aber beständig seit über 100 Jahren weltweit das Massenmedium schlechthin und wird es auch weiterhin bleiben. Denn Radio ist einfach: Knopf drücken – läuft. Allerdings muss es auch mit der Zeit gehen. Denn die Hörerinnen und Hörer sind anspruchsvoller geworden. Radio muss überraschen, muss informativ sein und muss sich aus dem Playlisten-Dschungel abheben. Dass die Zahl der Radiohörerinnen und -hörer hierzulande abnimmt, ist meiner Meinung nach auch darauf zurückzuführen, dass bestimmte Programme, aufgrund der eingangs erwähnten Durchhörbarkeit, uninteressant geworden sind: täglich dieselben Playlisten, immer die übertrieben gut gelaunte Stimme, die vollkommen unauthentisch mit austauschbaren Claims und Floskeln das Programm verkauft und irgendwelche gesteuerten Gewinnspiele anpreist.
Interessanterweise schätzt die radiofips-Hörerschaft, dass unser Programm genau so nicht ist. Wir wurden deshalb auch schon als „Oase des Radios“ bezeichnet. Und so können wir für uns durch entsprechende Rückmeldungen feststellen, dass unser Publikum eher wächst, ohne dass wir jetzt genaue Erhebungen dazu haben. Ein breites Musikspektrum, abseits des Mainstreams ist interessant. Themen vor der Haustür sind interessant. Radio zum Mitmachen ist interessant.
Parallel dazu können wir feststellen, dass die Zahl der am Radiomachen interessierten Personen bei uns eher zunimmt als abnimmt. Überraschend vor allem bei Jugendlichen, die in den letzten Jahren schon gar nicht mehr als radiohörende Generation verbucht wurde und noch viel weniger als Radiomachende. Unter der Rubrik „Audiojournalismus“ bieten wir Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit an, Schulradiosendungen zu Unterrichtsbegleitenden oder freien Themen zu erstellen und zu senden. Selbst Lehrkräfte sind überrascht, was es mit den Jugendlichen macht, wenn das Rotlicht im Studio angeht und alle Welt in dem Moment hören kann, was man sagt. Hier herrscht volle Konzentration, man will sich ja keinesfalls blamieren. Gleichzeitig haben die Jugendlichen sehr viel Spaß bei der Radioarbeit, zeigen Engagement weit über die Unterrichtszeit hinaus und lernen den Umgang mit Medien auf der Macherseite, um auch zu erfahren, wie einfach man damit unter Umständen Menschen beeinflussen und manipulieren kann. Dafür gab es dann auch schon eine Auszeichnung in Form eines Schülermedienpreises.
Vor diesem Hintergrund bin ich sehr zuversichtlich, dass es radiofips in 20 Jahren und darrüberhinaus noch geben wird.
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© radiofips