Allein in Baden-Württemberg sind 34.500 Menschen von Multipler Sklerose betroffen – Ursache bleibt unklar
Wie wichtig die Arbeit der AMSEL-Kontaktgruppe ist, zeigt sich auch an der wachsenden Anzahl an Erkrankungen. Aktuell geht man davon aus, dass die Erkrankung des zentralen Nervensystems weltweit rund 2,8 Millionen und deutschlandweit 252.000 Menschen betrifft. Allein in Baden-Württemberg sind 34.500 Menschen an MS erkrankt.
Auch wenn die genaue Ursache der Erkrankung bislang nicht endgültig geklärt wurde, gibt es Risikofaktoren, die die Entstehung der Krankheit begünstigen können. Dazu gehören Rauchen, Vitamin-D-Mangel, Übergewicht, ungesunde Ernährung und eine Infektion mit dem Eppstein-Barr-Virus.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass mehrere Faktoren zusammenkommen müssen, um eine MS auszulösen, also eine Kombination aus genetischer Prädisposition – MS ist aber keine Erbkrankheit – und Risikofaktoren.
Die Multiple Sklerose hat viele Gesichter
Die MS ist eine Autoimmunerkrankung. Bei ihr werden die Schutzhüllen der Nervenbahnen an unterschiedlichen Stellen angegriffen und zerstört. Die Nervensignale können dadurch nur noch verzögert oder gar nicht weitergeleitet werden, was – je nachdem, an welcher Stelle das Zentrale Nervensystem geschädigt wurde – zu Taubheitsgefühlen, Seh- und Koordinationsstörungen, abnormaler Erschöpfbarkeit (Fatigue), Konzentrationsproblemen bis hin zu Lähmungen führt.
Erste Anzeichen einer MS-Erkrankung sind häufig Empfindungsstörungen an Armen und Beinen, andere berichten von Sehstörungen, die besonders bei jungen Patientinnen und Patienten in Erscheinung tritt. Im weiteren Verlauf sind die drei häufigsten Symptome spastische Lähmungserscheinungen (Paresen), Blasenstörungen und Fatigue. Die Krankheit verläuft individuell und kann nicht vorhergesagt werden. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Erkrankten beginnt die MS schubförmig. Symptome bilden sich nach einem Schub meist ganz oder teilweise zurück. Bei ca. 10 % verläuft die MS von Anfang an fortschreitend. Man spricht von einem primär chronisch-progredienten Verlauf. Vor allem nach längerer Erkrankungsdauer können MS-Kranke auf Hilfe angewiesen sein und Unterstützung bei der Bewältigung ihres Alltags benötigen. Der Umgang mit der Krankheit und die Ungewissheit über ihre Entwicklung ist für die Betroffenen und für die Angehörigen eine Herausforderung. Hier setzt die AMSEL-Kontaktgruppe in Göppingen an.
Betroffene brauchen Vertrauen, Stabilität und Zuwendung
prisma: Wie kann sich ein Nicht-von-MS-Betroffener ein Leben mit dieser Krankheit vorstellen?
Andrea Schöne und Susanne Leinberger: MS bedeutet, mit dauerhafter Ungewissheit zu leben. Kommt ein Schub, wann kommt ein Schub, wie verläuft die MS? Bilden sich Symptome zurück? Bleiben sie? Je nach Dauer der Erkrankung kann MS den Alltag sehr beeinträchtigen. Vor allem unsichtbare Symptome, wie z. B. Seh- oder Konzentrationsstörungen oder die Fatigue belasten in zweifacher Hinsicht, weil Dritte sie nicht wahrnehmen und auch nur sehr schlecht nachempfinden können. Wenn durch eingeschränkte Gehfähigkeit Hilfsmittel wie Stock, Rollator oder auch ein Rollstuhl notwendig werden, ist dies für viele Erkrankte eine Herausforderung. Vor allem, wenn man jung ist. Schambehaftete Symptome wie eine neurogene Blasenstörung – die etwas vollkommen anderes ist als eine landläufig bekannte Blasenstörung – erfordern eine gute Tagesplanung und bringen viele Erkrankte dazu, nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
prisma: Wie hat sich die Anzahl an MS-Betroffenen im Landkreis Göppingen entwickelt?
Andrea Schöne und Susanne Leinberger: Es werden mehr. Wie viele es im gesamten Landkreis sind, wissen wir nicht, da MS keine meldepflichtige Erkrankung ist und nicht jeder Erkrankte Mitglied der Selbsthilfeorganisation werden möchte. Aktuell haben wir ca. 200 Mitglieder.
prisma: Was braucht eine MS-Betroffene oder ein MS-Betroffener, um einigermaßen gut leben zu können?
Andrea Schöne und Susanne Leinberger: Aus unserer Sicht einen Neurologen, dem sie vertrauen und der sie gut berät. Gerade bei der Vielzahl der zugelassenen Medikamente braucht es neurologische Beratung, die sich mit der MS sehr gut auskennt. Dazu je nach Symptomen Ergo- und Physiotherapie. Ein stabiles, zugewandtes und unterstützendes Familien-, Freundes- und Berufsumfeld und mehr Wissen und damit mehr Verständnis für MS-Erkrankte in der Öffentlichkeit. Wenn man weiß, dass MS beispielsweise ein sehr unsicheres Gehen mit Stolpern als Symptom haben kann, werden Betroffene vielleicht nicht mehr als betrunken abgestempelt.
prisma: Was hat es mit dem Namen AMSEL auf sich?
Andrea Schöne und Susanne Leinberger: AMSEL steht für Aktion Multiple Sklerose Erkrankter Landesverband der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft.
Die Kontaktgruppe sorgt für regelmäßigen Austausch
prisma: Welches Angebot bekommen MS-Erkrankte bei Ihnen?
Andrea Schöne und Susanne Leinberger: Wir sind telefonisch oder persönlich Ansprechpartner für Erkrankte, aber auch für Angehörige. Die Fragen von Neuerkrankten sind oft, wie es weitergeht und worauf sie achten müssen. Später kommen dann Beratungen zum Thema Schwerbehinderung, Hilfsmittel oder medizinischer Rehabilitation dazu. Das läuft über uns vor Ort oder wir vermitteln an die hauptamtlichen Profis in der Geschäftsstelle in Stuttgart. Außerdem gibt es monatlich einen Stammtisch jeden ersten Dienstagabend und für die sog. Junge Initiative (bis 40 Jahre) jeden letzten Mittwochabend.
prisma: Inwiefern hilft Ihnen die Geschäftsstelle des Landesverbands in Stuttgart?
Andrea Schöne und Susanne Leinberger: Die im Landesverband tätigen Mitarbeitenden unterstützen die Arbeit der AMSEL-Gruppen in allen Belangen der Kontaktgruppenarbeit. Es gibt feste Ansprechpartner im Landesverband für alle Themen, von Gruppenaktivitäten über Öffentlichkeitsarbeit bis zu Finanzierungsfragen der Arbeit. Uns werden viele organisatorische Dinge abgenommen und wir werden für unsere Aufgaben umfassend eingearbeitet, bei unserem Engagement begleitet und kontinuierlich geschult. Wir können fachliche Fragen von Gruppenmitgliedern an die hauptamtlichen Mitarbeiter weitergeben und der Landesverband stellt uns umfassendes Informations- und Aufklärungsmaterial zur Verfügung. Außerdem haben alle Gruppen eine eigene Webseite und der Landesverband sorgt dafür, dass wir Gruppenleitungen uns regelmäßig untereinander austauschen und auch über belastende Ereignisse sprechen können.
prisma: Mit der Kontaktgruppe werden auch immer wieder tolle Ausflüge unternommen. Können Sie ein paar Beispiele nennen, die Ihnen besonders im Kopf geblieben sind?
Andrea Schöne und Susanne Leinberger: Mit der Jungen Initiative waren wir zum Beispiel auf dem Hohenstaufen. Aber wir hatten auch schon Busreisen organisiert, z. B. an den Bodensee oder zum Baumwipfelpfad nach Bad Wildbad. Im September geht es zum Skywalk nach Scheidegg, zusammen mit der Kontaktgruppe Schwäbisch Gmünd.
prisma: Auch für die Angehörigen von MS-Kranken kann der regelmäßige Austausch in Ihren Gruppen eine große Hilfe sein. Warum sollten Ihrer Meinung nach auch Angehörige an der Kontaktgruppe teilnehmen und welche Angebote haben Sie für diese?
Andrea Schöne und Susanne Leinberger: Über den Landesverband wird regelmäßig ein Austausch für Angehörige angeboten, dauerhaft ist dies digital in einer geschlossenen Facebook-Gruppe der AMSEL möglich, die von einer Angehörigen betreut wird. Bei uns kommen zu unseren Stammtischen für die Betroffenen oft Partnerinnen und Partner, aber auch manchmal Kinder mit. Sie haben eigene Themen, über die sie sich untereinander austauschen können.
Wie Sie die Kontaktgruppe unterstützen können
prisma: Wie finanziert sich die Kontaktgruppe? Wie kann ich mich persönlich, auch als Nicht-Betroffene oder Nicht-Betroffener, engagieren?
Andrea Schöne und Susanne Leinberger: Wir finanzieren uns aus den Mitgliedsbeiträgen, Zuschüssen, Spenden oder unserem Verkauf von selbstgestrickten Socken. Als Nicht-Betroffener kann man unsere Gruppe ideell, z.B. durch Wissen, was MS ist, finanziell durch eine Spende und auch tatkräftig als Helfer z. B. bei einem Grillfest oder im Besuchsdienst unterstützen. Gerne einfach mit uns Kontakt aufnehmen.
prisma: Sie verkaufen regelmäßig auf den Weihnachtsmärkten in der Umgebung selbstgestrickte Socken. Warum gerade Socken und wie wird das Angebot von den Besucherinnen und Besuchern der Märkte angenommen?
Andrea Schöne und Susanne Leinberger: Das haben wir bis vor Corona auf 4 Weihnachtsmärkten gemacht. Nun können wir es leider nicht mehr im großen Umfang stemmen, da wir zu wenig Helferinnen und Helfer haben. Wir bieten den Verkauf vor Weihnachten an, über einen Garagenverkauf und durch Inserate in der Zeitung. Socken haben wir, weil wir eine Gruppe von ca. 20 ehrenamtlichen Strickerinnen haben, die für uns das ganze Jahr stricken. Auch hier sind neue Strickerinnen und Stricker gerne willkommen.
- Spenden
Die AMSEL-Kontaktgruppe Göppingen e. V. freut sich über jede Spende, die ihre ehrenamtliche Arbeit unterstützt.
Bankverbindung der AMSEL-Gruppe Göppingen:
Kreissparkasse Göppingen
IBAN DE06 6105 0000 0007 0090 11
Kontonummer 700 90 11 BLZ 610 500 00
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